Essay – Kunstbegriffe der Outsider Art
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Essay – Kunstbegriffe der Outsider Art

Hier möchte ich die inzwischen tradierten Kunstbegriffe der Outsider Art aufzeigen. Diese Materialsammlung dokumentiert transparent meine Auseinandersetzung mit dem Thema und meinen Fortschritt.

Einleitung

Kunst wurde seit Anbeginn der Zeit (man denke an Höhlenmalereien) genutzt, um über das eigene Leben und Handeln zu reflektieren und sich seiner selbst zu vergewissern. Ob bewusst oder unbewusst. Mit der Kunst richtete jeder Künstler schon immer auch ein Auge auf sein eigenes, inneres Wesen.

Goya stellte seine inneren Dämonen unter anderem als Fledermäuse dar.

In der Kunsttherapie wird geistig und/oder körperlich beeinträchtigen Patienten die Möglichkeit gegeben, sich bildnerisch auszudrücken. Das hilft bei der Entwicklung von Akzeptanz einer neuen Erkrankung oder Behinderung, es hilft dabei Unruhe, Trauma, Träume und andere Umtriebe in einen kreativen, meist positiven Kanal zu lenken. Schöpfung ist für sicherlich alle Künstler ein Ventil.

Kunstbegriffe

Die Arbeiten, die so mitunter entstehen, könnten als Outsider Art klassifiziert werden. Diese Kunst wird häufig synonym als Naive Kunst, art brut und outsider art beschrieben.

Doch möchte ich im Folgenden eine Präzision anbieten, denn diese Begrifflichkeiten werden für das Phänomen der Kunst jedweder Außenseiter des Kunstbetriebs, körperlich oder geistig beeinträchtigter Personen und auch für Außenseiter im weiteren Sinne der Gesellschaft verwendet. Ich möchte deshalb auch zunächst den Begriff der Zustandsbezogenen Kunst anführen, eine Bezeichnung, die Diskriminierung entgegenwirken soll, da Naive Kunst abwertend klingt und art brut schlicht rohe Kunst heißt.

Der Reiz an allen Formen von Outsider Art ist, dass sie aufgrund ihrer Urheber nicht den gängigen Normen und Erwartungen entspricht.

Naive Kunst ist in meinem Verständnis die Kunst ungelernter Menschen, insbesondere Kinder oder Menschen des gleichen, monokulturellen Kulturkreis unserer inzwischen internationalen Gesellschaft, die keine Anleitung und wenig bis gar keine Erfahrung mit gängigen („insider“) Kunstwerken machen konnten.

Immer wieder gibt es auch andere Tiere als den Menschen, die wir beim Erschaffen von Kunst ertappen, oder die wir nötigen Sie mit Pinseln und Farben den Lebensunterhalt für unsereins zu verdienen. Ist dies nicht auch naive Kunst oder sind wir so speziistisch geprägt, dass wir diese Leistung nicht anerkennen?

Immerhin besser als fette Touristen aus Europa oder China rumtragen. https://elephantartgallery.com/

Die rohe Kunst des art brut würde ich auf den Zustand des Künstlers zurückführen wollen, ob körperlicher oder seelischer Natur.
Debuffet, der den Begriff art brut prägte, schrieb: „Hier beobachten wir den künstlerischen Prozess in reiner, roher Form. Neuerfunden in allen Schritten, durch seinen Urheber, beginnend einzig bei seinen eigenen Impulsen.“

Wir denken nun an eben jene Menschen, die eine Kunsttherapie erhalten oder in psychiatrischer Behandlung sind oder zumindest dort gut aufgehoben wären, die über ihre Malerei über ihren Zustand reflektieren und sich selbst Wege des Ausdrucks schaffen.
Aber waren nicht auch viele anerkannte und berühmte Künstler wie Van Gogh, Kandinsky oder Munch ebensolche rohen Künstler, die unter psychischer Krankheit litten?

Sanatorien und andere „Heilstätten“ entsorgten die Arbeiten ihrer Insassen – art of the insane – für Jahrhunderte, ehe man vor kaum mehr als 100 Jahren begann sie zu sammeln und selbst zum Zentrum von Untersuchungen zu machen.

1919 wurde Hans Prinzhorn (deutscher Kunsthistoriker und Psychiater) Assistent von Karl Wilmanns an der Psychiatrischen Universitätsklinik Heidelberg. Seine Aufgabe war es, dort eine Sammlung von Bildwerken Geisteskranker zu betreuen, die von Emil Kraepelin angelegt worden war. Als Prinzhorn die Heidelberger Universitätsklinik 1921 verließ, umfasste seine Archivierung mehr als 5000 Gemälde, geschaffen von ≈450 Patienten der psychiatrischen Universitätsklinik Heidelberg, den in der Terminologie der Mediziner so genannten Fällen. 1922 veröffentlichte Prinzhorn sein erstes und einflussreichstes Werk, das Buch Bildnerei der Geisteskranken,[2] reich illustriert mit Bildmaterial aus der Sammlung der für geisteskrank befundenen Patienten. Während Prinzhorns psychiatrische Fachkollegen reserviert auf sein veröffentlichtes Werk reagierten, zeigten sich Kunstliebhaber, Kunstexperten und Psychologen von den dokumentierten Patientenarbeiten tief beeindruckt. Das Buch, in dem sich der Verfasser mit den Grenzbereichen künstlerisch individueller Formen der Expressivität und den Gestaltungsmerkmalen psychisch Kranker auseinandersetzte, bildete einen der ersten Versuche, deren Schöpfungen zu analysieren.
Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Hans_Prinzhorn

Der Tod der Outsider


Die Sammlung die unter Prinzhorn entstand und noch heute seinen Namen trägt, zählt zu den bedeutendsten der Welt. Bedauerlicherweise wurde diese Sammlung von den Nazis pathologisiert und dazu missbraucht ihre Vorstellungen von lebenswertem Leben publik zu machen. Die Auffassung von art brut (Zustandsbezogener Kunst) als Entartete Kunst wurde als Rechtfertigung für den systematischen Mord an Tausenden Patienten genutzt, sie wurden verhungern gelassen, im besten Falle euthanasiert und mitunter kurzerhand in den Heizöfen der Sanatorien verbrannt.

Moderne Psychopharmaka und das Einwirken der Welt der etablierten, anerkannten Kunst hat der reizvollen Strömung in den letzten Jahren sehr geschadet und es stellt sich die Frage, inwiefern man die Abgrenzung von „normaler Kunst“ noch rechtfertigen kann? Abseitiges findet sich schließlich auch in Werken des Establishment.

In Ausstellungen wie der Outsider Art Fair werden in Ermangelung echter outsider art auch romantisierte, ethnologische Arbeiten zu Geld gemacht. Die Exploitation von forciert exotischem Kunsthandwerk und der Künstler, egal welcher Herkunft und welchen Zustands, wird (zu Recht) kritisiert.

Die damit einhergehende Kommerzialisierung führt die Unterscheidung von Outsider und Insider Art praktisch ad absurdum und verwässert ihre Bedeutung. Mit diesen Labels generiert der turbokapitalistische Kunstbetrieb eine artifizielle Blase und wenn man Dinge in Schubladen steckt, dann reißt man sie aus ihrem Zusammenhang, um beim Motiv zu bleiben, dann klemmt man früher oder später auch etwas ein, dann geht es verschütt und man vergisst, dass es überhaupt da war.

Outsider Art als Begriff ist schwer zu fassen und das liegt am Kern der Sache. Der besondere Wert, den die Outsider Art darstellte, ist genau diese komplexe, fast unmögliche Abgrenzung, die wir zunächst kritisch begutachtet haben. In der Abgrenzung ermöglichte sie uns die „Normale Kunst“ unter einem neuen Blickwinkel zu sehen.

Der Blick mit dem Savants (Autisten mit Inselbegabungen) die Welt sehen, ermöglicht uns auch Einblicke in die Neuro- und Psychologie und eröffnet Fragestellungen, die sich schwerlich ohne sie gestellt und wissenschaftlich ergründet hätten.

Mein eigenes Verständnis

Ich lehne das simplifizierende Schubladendenken, das zur Vermarktungsmasche verkommen ist, ab und möchte ein neues Verständnis propagieren, in dem jede Art von Kunst in ein stufenloses, mehrdimensionales Raster fällt.
Drinnen ist, wer etwas schafft, das für einen selbst oder für andere Kunst sein kann. Alles was Menschen tun kann Kunst sein, aber nicht alles was Menschen tun ist Kunst.
Kunst sollte, nachdem sie von jeder Bedeutung und Sinnhaftigkeit geleert wurde, einiges wiedererlangen… Kunst sollte mit einer Anstrengung und nicht leichtfertig erschaffen werden, ihr sollte eine Botschaft, ein Gedanke, Leben innewohnen. Kunst kann Hoffnung bringen, ohne sich in den Dienst einer Doktrin oder Religion zu stellen.
Ich hoffe mein eigenes Kunstverständnis in naher Zukunft einmal klarer zu sehen und besser ausdrücken zu können.

Ebenfalls ein Außenseiter, ohne in meiner Familie und meinem bisherigen Leben sonderlich für die Kunstwelt sensibilisiert worden zu sein, bin ich nun spät zum Kunststudium gekommen.
Dabei komme ich aus einem künstlerisch aktiven Elternhaus. Mein Vater, ein Bär von einem Mann, zeichnet und malt mit Vorliebe Miniaturen, teils als Panoramen auf Klopapierrollen. Meine Mutter ist gelernte Kalligraphin und Dekorateurin.
Als Grundschüler habe ich perspektivisches Zeichnen für mich selbst entdeckt, als Teenager sehr frei mit allen mir verfügbaren Medien gespielt. Ich habe auch konzeptuell und performativ gearbeitet, Jahre bevor ich erfuhr, dass mein Ausdruck meiner Interessen und mein Aufbegehren, anerkannte Kunstbegriffe waren.

Drei Beispiele für Künstler/innen die mich faszinieren, wer lässt sich in welche Schublade stecken?

Adolf Wölfli – https://de.wikipedia.org/wiki/Adolf_W%C3%B6lfli

Vivian Maier – https://de.wikipedia.org/wiki/Vivian_Maier

Grandma Moses – https://de.m.wikipedia.org/wiki/Grandma_Moses

Exkurs Outsider Film

Literaturverzeichnis

  • McLaglan, David (2009). Outsider Art – From the Margins to the Marketplace. Reaktion Books Ltd, London
  • Pataczek, Anna (2010). Die siebte Blume bin ich. tagesspiegel.de. Verfügbar unter: https://tagesspiegel.de/wissen/kunsttherapie-die-siebte-blume-bin-ich/1810478.html [Stand: 5. 1. 2020].
  • Wexler, Alice (2016). Art education beyond the classroom. Palgrave Macmillan.
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