Essay – Kunst im Anthropozän – 02
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Essay – Kunst im Anthropozän – 02

Jetzt ist es Mittwochabend, der 26. August. Eigentlich wollte ich in die Premiere von Nolans „Tenet“, aber ich habe vergessen für uns zu reservieren. Stattdessen schaue ich „The Hunter“ von 1980 auf Amazon Prime. Steve McQueen wurde nur 50 Jahre alt. Eli Wallach 99 und damit fast doppelt so alt. Der Film selbst ist jetzt 40 Jahre alt

Inzwischen liegen alle Ereignisse aus „Zurück in die Zukunft“ in der Vergangenheit und wir haben noch immer keine fliegenden Autos, stattdessen aber ein weltumspannendes Informationsnetzwerk, das jeden Menschen für eine internationale, turbokapitalistische Ayn-Rand-Oligarchie monetarisiert.

Wir glauben viel zu verstehen, aber tun wir das? Ich selbst verbringe jeden Tag sicherlich eine Stunde mit den Nachrichten, um up-to-date zu sein. Was wir für richtig und logisch halten, kann ein Trugschluss sein.

McQueen ist jetzt fast so lange tot, wie er gelebt hat. Manchmal ist da einfach nicht mehr, manchmal sind Zahlen und Fakten bedeutungslos und das zu akzeptieren kann schwer fallen.

Unser Gehirn arbeitet unentwegt daran Muster zu finden, unsere Sinneseindrücke zu interpretieren und uns unsere Welt zu erklären.

Das Benfordsche Gesetz, auch Newcomb-Benford’s Law (NBL), beschreibt eine Gesetzmäßigkeit in der Verteilung der führenden Ziffern von Zahlen in empirischen Datensätzen, wenn die zugrunde liegenden Werte eine ausreichend große Streubreite aufweisen.

Das Gesetz lässt sich etwa in Datensätzen über Einwohnerzahlen von Städten, Geldbeträge in der Buchhaltung, Naturkonstanten etc. beobachten. Kurzgefasst besagt es:

Je niedriger der zahlenmäßige Wert einer Ziffernsequenz bestimmter Länge an einer bestimmten Stelle einer Zahl ist, desto wahrscheinlicher ist ihr Auftreten. Für die Anfangsziffern in Zahlen des Zehnersystems gilt zum Beispiel: Zahlen mit der Anfangsziffer 1 treten etwa 6,6-mal so häufig auf wie Zahlen mit der Anfangsziffer 9.

https://de.wikipedia.org/wiki/Benfordsches_Gesetz

Es gibt mathematische Konstanten, die sich durch das All ziehen, die jede Zelle zusammen halten und die Existenz erst ermöglichen.

https://de.wikipedia.org/wiki/Feinabstimmung_der_Naturkonstanten

Es macht vielleicht keinen für uns erkennbaren Sinn, aber es gibt Zusammenhänge die sich unserer sinnlichen Erfahrung entziehen, mathematische Gesetzmäßigkeiten, wie das Benfordsche Gesetzt oder wie der goldene Schnitt, sind stichhaltige Indizien, die dies untermauern können. 

https://ethz.ch/content/dam/ethz/special-interest/dual/educeth-dam/documents/Unterrichtsmaterialien/mathematik/Benfords%20Gesetz%20%C3%BCber%20f%C3%BChrende%20Ziffern%20(Artikel)/benford.pdf

Könnten wir nur an einer Stellschraube dieser Naturkonstanten drehen, würden wir schnell die Existenz selbst unwahrscheinlicher werden lassen.

Die Menschheit dreht eifrig an den Stellschrauben, die das Ökosystem der Erde zusammenhalten.

Wir befinden uns im Erdzeitalter des Menschen.

Willkommen im Anthropozän! Doch wann begann es eigentlich? Zählt man ab dem Eingreifen in die Ablagerung menschengemachter Spuren in den Sedimenten, so muss man von der Industrialisierung ausgehen.

Staub der Industrialisierung reichte bis zum Himalaya

Ist dann nicht auch alle Kunst ab etwa 1780, also praktisch alle Kunst der Moderne, Kunst im Anthropozän?

Oder erfordert das Label, dass die Kunstschaffenden sich aktiv mit ihrer Rolle als Künstler in eben jenen Zeiten auseinander setzen?

Eher nicht, denn auch heute noch gibt es Künstler, die sich dieser Verantwortung nicht stellen und nicht über ihr Schaffen in einer gleichfalls anthropozentrischen und misanthropen Welt reflektieren.

Müssen sie das? Nein, Kunst ist frei.

Aber nicht alle Kunst ist von einem wie auch immer gearteten Wert.
Nicht alle Kunst ist es Wert geschaffen zu werden.

Hätte McQueen „The Hunter“ nicht lieber sein gelassen, wenn er gewusst hätte, dass es sein letzter Film wird – und sein wahrscheinlich schlechtester?

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